
HALTGEBEN - IM ALLTAG:
Tragetuch und Pucktuch:
Das elementare Bedürfnis des Kindes nach Körperkontakt - sprich: am Körper berührt zu werden - wird mit den üblichen Zärtlichkeiten nur unzureichend befriedigt. Das Baby braucht am ganzen Körper ein ständiges, fast ununterbrochenes, nicht nachlassendes berührt werden, damit es sich selbst wahrnehmen kann. Dies kann kein Elternteil dauerhaft leisten. Deshalb - und weil es praktisch war - haben unsere Vorfahren die Kinder in Tüchern warm und eng am Körper getragen. Dies wird seit Jahren auch in unserem Kulturkreis wieder propagiert, ist aber oft nur stundenweise möglich oder kommt für manche Eltern aus den verschiedensten Gründen nicht in Frage.
Deshalb ist es sehr sinnvoll, das Baby eng in seine Wolldecke zu wickeln, damit es genügend warm ist, sich permanent spüren und Arme und Beine bei sich behalten kann. Das gibt dem Baby sehr viel Halt und Geborgenheit. Es ist oft zu beobachten, das unruhige Babys wie verwandelt sind, wenn sie diese wohltuende Enge und Wärme um sich herum wahrnehmen. Da Eltern die Technik des Wickelns traditionsbedingt nicht mehr beherrschen, müssen sie eventuell einmal zu Hilfsmitteln greifen und einen Seidenschal o.ä. im Schulterbereich um das "Päckchen" wickeln, damit das Baby mit seinen rudernden Bewegungen die Decke nicht wieder öffnet. Lassen Sie sich von Ihrer Hebamme zeigen, wie Sie Ihr Baby sicher und kuschelig pucken können. Scheuen Sie sich nicht, Ihrem Baby die Welt wirklich eng zu gestalten. Entgegen der herkömmlichen Literaturaussage ist es keine Freude für ein Neu geborenes, frei zu strampeln. Im Gegenteil, es bekommt Angst, weil es die Welt in ihrer Größe nicht einschätzen kann und sich darin verliert. Denken Sie an die Geborgenheit im Mutterleib, auch dort war es eng und kontinuierlich warm. Viele Völker wickeln ihre Babys monatelang so eng, dort sind - natürlich auch aus anderen Gründen - unruhige Babys nicht bekannt. Wir sollten es zu mindestens einige Wochen so durchführen, bis das Baby seine Gliedmaßen gezielt bewegen kann und nicht mehr vor der Weite und seiner eigenen unkoordinierten Bewegung erschrecken muss.
Rhythmus:
Eine weitere harmonisierende Maßnahme können Sie einführen, indem Sie Ihrem Baby einen Rhythmus im Tageslauf geben. Auch der Rhythmus ist ein elementares Grundbedürfnis des Kindes. Hierbei handelt es sich - ganz entgegen der üblichen Auffassung - um eine biologische Notwendigkeit und nicht um eine Meinungs- oder Entscheidungsfrage. Mit Rhythmus ist hier kein nüchterner 4-Stunden-Takt gemeint, wie Sie jetzt vielleicht befürchten werden, sondern eine lebendige, auf die jeweiligen Bedürfnisse des Kindes und seine Altersstufe abgestimmte individuelle Zeiteinteilung, die für einige Zeit beibehalten wird. Natürlich ist der Rhythmus für ein wenige Wochen altes Baby ein anderer als für einen halbjährigen Säugling. Wichtig ist nur, dass der Rhythmus eingehalten wird, denn sonst wäre es ja keiner mehr. Da Ihr Baby sich erst in seiner neuen Umgebung einleben muss, lassen Sie ihm etwas Zeit und beginnen je nach Wesen des Kindes zwischen der zweiten und vierten Woche behutsam, eine Regelmäßigkeit in den Tagesablauf einzuführen. So, wie es zu Ihrem Kind und zu Ihrer familiären Situation passt. Auch hier steht Ihnen Ihre Hebamme mit Rat zur Seite. Zwischen der dritten und achten Woche sollte dann ein täglich wiederkehrender Rhythmus vorhanden sein, damit sich das Baby (und die Mama) wohl fühlt. Es ist immer wieder zu beobachten, dass Babys, die mit ihrer Familie rhythmisch leben, wesentlich zufriedener sind als Kinder, die sich täglich oder stündlich auf wechselnde Gegebenheiten einstellen müssen.
Blähungen und sonstige "Erklärungen"
Eine Anmerkung zur allabendlichen Schreistunde. Immer wieder werden mir in meiner Praxis Babys als "Schreikinder" vorgestellt. Eine genaue Anamnese ergibt, dass die Babys sich eigentlich "ganz normal" verhalten, aber die Eltern vollkommen irritiert, vielleicht sogar schon entnervt reagieren. Bei den Gesprächen wird eine Wissenslücke bezüglich des Schreiverhaltens eines normal entwickelten und gesunden Säuglings sichtbar. Eltern werden durch die herkömmliche Literatur nicht in genügendem Maße darauf vorbereitet, dass es für das Kind viele, viele Gründe gibt, sich durch Schreien mitzuteilen. Insbesondere wird hier nicht auf die allabendliche Schreiphase hingewiesen.
Die Schreiphase ist bis zum Alter von etwa 8 - 14 Wochen ein täglich erneut auftretendes Phänomen, welches noch weitgehend ungeklärt ist und für das sich jede damit in Berührung kommende Berufsgruppe eine eigene Deutung erarbeitet hat. Die Großeltern sprechen noch von notwendiger "Lungenstärkung", Kinderärzte von "Blähungen" oder "Unreife des Verdauungstraktes". Ganzheitlich orientierte Fachleute sprechen von einer Phase intensiven Selbsterlebens oder ordnen die Schreizeit und -art einem homöopathischen Arzneibild zu. Fest steht, dass die Babys unseres Kulturkreises ein sehr unruhiges, von vielen Störungen und Reizen beeinträchtigtes Leben haben, das in vielen Fällen zu einer Überforderung und Überreizung führt. In der allabendlichen Schreistunde findet das Baby dann die passende Gelegenheit, sich von dieser Überforderung und Überreizung wieder zu befreien. Wenn es darf. Denn gerade hier ist zu beobachten, wie Eltern alle Mittel einsetzen, um gegen die Schreiphase anzugehen. Wenn wir annehmen, dass die Schreiphase etwas "Natürliches" ist, dass es also in der Natur des Kindes veranlagt ist, sich so zu verhalten, dann handeln wir gegen seine Natur, wenn wir versuchen, die Schreiphase mit Beruhigungsmaßnahmen zu verhindern. Und das kann nicht gut sein.
Wenn uns schon aus der Veranlagung des Kindes heraus die tägliche Gelegenheit geboten wird, dann sollten wir die Chance dieser wachen, aktiven Phase auch nutzen, dem Baby die Möglichkeit zur gründlichen Entlastung zu geben.
Viele der so genannten Schreikinder sind Babys, die in ihrem Bedürfnis, sich abends vom Stress des Tages zu entlasten, missverstanden werden. Wenn das Baby über seine Tagesportion Stress abends lauthals schimpfen will, ihm aber keine Möglichkeit dazu gegeben wird, ist es nur logisch, dass es dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit Portionshäppchen davon ausweint, eventuell über viele Stunden verteilt. So schafft ein Baby ohne weiteres, seine Schreiphase - die, normalerweise von vielen kleinen Pausen unterbrochen, rund zwei bis drei Stunden dauert - auf sechs bis acht Stunden auszudehnen. Und das bevorzugt nachts.
... und zu den Koliken
Ein weit verbreitetes Thema, sowohl bei Eltern als auch bei den Kinderärzten, sind die so genannten Drei-Monats-Koliken. Hier müssen wir unterscheiden zwischen Blähungen und Koliken. Ohne Zweifel ist dies eine Angelegenheit, die Eltern und Babys quält. Auch hier sind die eigentlichen Hintergründe noch vollkommen ungeklärt. Die gängige Diagnose "Unreife des Verdauungstraktes" kann man getrost als Erklärungsversuch einordnen, denn auch dieses Phänomen ist wiederum nur in unserem Kulturkreis bekannt. Und warum sollten afrikanische Neugeborene einen reiferen Darmtrakt haben als mitteleuropäische Kinder? Da wir heutzutage wesentlich mehr "Schreibabys" haben als noch vor zwanzig Jahren, suchen Eltern wie Fachleute nach Ursachen. Oftmals fehlen schlüssige Erklärungen, weil das Kind nicht in seiner seelisch-geistigen Ganzheit gesehen wird. Was liegt da näher als an Bauchschmerzen zu denken. Meine langjährige Erfahrung als Hebamme verdanke ich die Beobachtung, dass "echte" Koliken weitaus seltener sind als allgemein angenommen. Weil andere Gründe für das Schreien aber nicht bekannt sind, wird eben die Diagnose "Drei-Monats-Koliken" verwendet. Damit wird natürlich auch der Blick auf tiefe liegende Ursachen und komplexere Zusammenhänge verstellt.
Gegen echte Koliken ist noch "kein Kraut gewachsen". Hier wird allen Beteiligten viel abverlangt. Gepeinigte Eltern wissen, dass weder Blähungströpfchen noch Kräutertees, weder Zäpfchen noch Einreibungen, weder Homöopathie noch Allopathie die (unbekannten) Ursachen beseitigen oder die Symptome längerfristig besänftigen können. Die harmlosere Variante der Koliken ist die Blähungen, die oft abends recht häufig auftreten. Während der allabendlichen Schreistunden haben die Babys oft zusätzlich Bauchweh. Zusätzlich, wohlgemerkt, denn dies ist nicht die Ursache der Schreistunde, sondern eine Begleiterscheinung. So wie das ganze Kind während dieser Phase sehr aktiv ist und sich bewegt und schreit und dies als seinen "abendlichen Spaziergang" nutzt, so ist auch der Darm in dieser Zeit sehr aktiv. Er arbeitet und rumort mehr als sonst. Verdauungsarbeit ist für ein Baby Schwerstarbeit. Und so rumort es kräftig mit. Diese Aktivitäten kann das Baby nicht still vollziehen, auch hier will es wieder tüchtig schimpfen.
Exzessives Schreien
Diagnose: Schreibaby
Seit einigen Jahren ist eine extreme Zunahme der Diagnose "Schreibaby" zu beobachten, sodass man sich fragen muss, was unsere Kinder bei ihrer Ankunft auf der Erde erleben. Immer mehr Eltern fühlen sich dem Alltag mit einem Schreibaby nicht gewachsen und benötigen dringend die Unterstützung einer Beratungsstelle. Eine Antwort auf die Frage "Wann ist ein Baby ein Schreibaby?" gibt die so genannte Dreier-Regel: Wenn das Baby über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen an mehr als drei Tagen der Woche länger als drei Stunden pro Tag schreit, dann spricht man von exzessivem Schreien.
Doch auch unabhängig von dieser Definition sollten sich Eltern jederzeit Hilfe holen, wenn sie sich überfordert fühlen oder Sorge um ihr Kind haben.
Im Gegensatz zum ganz alltäglichen und "normalen" Weinen ist das exzessive Schreien ein Symptom für eine gravierende und damit behandlungsbedürftige Störung. Diese Störung ist durch schicksalhafte Ereignisse und individuelle Erlebnisse im Leben des Kindes entstanden. Doch bevor angemessene Hilfe angeboten werden kann, muss mehr über mögliche Ursachen des extremen Schreiens bekannt sein.
Exzessives Schreien kann zum Beispiel ausgelöst werden durch:
•posttraumatische Störungen, entstanden durch traumatische Erlebnisse des Kindes während der Schwangerschaft, der Geburt oder danach
•Beziehungsstörungen zwischen Mutter und Kind
•Nach- und Nebenwirkungen von Medikamenten, die der Mutter während der Schwangerschaft oder der Geburt verabreicht wurden
•Nach- und Nebenwirkungen von Impfungen
•Interaktion Störungen
•Kiss-Syndrom
•eine ängstliche Persönlichkeitsstruktur des Kindes
•schwere Beziehungskrise der Eltern
Hier sind je nach Diagnose und Situation die unterschiedlichsten Therapie und Hilfsangebote angebracht. Gehören Sie zu den Eltern, die ein "Schreibaby" haben, sollten Sie sich nicht scheuen, sich möglichst bald professionelle Unterstützung für sich und Ihr Kind zu holen. Mit Hilfe Ihrer Hebamme wird es Ihnen gelingen, die für Ihr Problem geeigneten Beratungsstellen oder Therapeuten ausfindig zu machen.
Schlusswort
Liebe Eltern, es gibt so viele Gründe für ein Baby, zu schreien, wie es Babys gibt. Jedes Baby ist einmalig und will in seiner Besonderheit betrachtet und geachtet werden. Und jedes Elternpaar sucht auf seine eigene Weise den emotionalen Kontakt zu seinem Kind. Ich möchte Ihnen dort weiterhelfen, wo der Kontakt aus Ratlosigkeit dem schreienden Baby gegenüber blockiert ist. Sie soll Ihnen als Anregung dienen, neue Verhaltensweisen in die Beziehung einfliessen zu lassen, um die Bindung zu erneuern und zu vertiefen. Es ist wichtig zu wissen, dass auch Eltern von frühgeborenen Babys nach der Entlassung des Kindes aus der Kinderklinik noch Anspruch auf Hebammenhilfe haben. Ist das Baby älter als acht Wochen, lassen Sie sich die notwendige verlängerte Hebammenhilfe von Ihrem Kinderarzt verschreiben. Denn gerade nach solchen belastenden Situationen kann die Hebamme unterstützend und hilfreich tätig sein.
Die Hebammen sind immer die ersten Ansprechpartnerinnen für Eltern und Babys. Sie stehen Ihnen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite, weil ihnen das Wohl von Eltern und Kindern am Herzen liegt.